CHRISTIAN SCHOTTENHAMEL

MÜNCHNER SEELE UND FESTWIRT

IM GESPRÄCH: Markus Meindl / Christian Schottenhamel
Photo: Peter Straub – GAS

 

Markus Meindl: Als Münchner Urgestein mit Werten und unternehmerischen Grundsätzen leitest du dein Familienunternehmen. Wer war dein Lehrmeister?

Christian Schottenhamel: Die Familie. Wir Kinder
waren immer dabei und haben aus erster Hand gelernt,
die Großen beobachtet und später ausprobiert.
Die Leidenschaft für Gastronomie und den Umgang mit
Menschen wurde mir, wie man so schön sagt,
in die Wiege gelegt.

Markus Meindl: Wofür bist du dankbar und worauf bist
du besonders stolz?

Christian Schottenhamel: Beruflich bin ich natürlich
dankbar dafür, in eine bedeutende Familientradition
hineingeboren worden zu sein und das, was meine
Vorfahren aufgebaut haben, weiterführen und -entwickeln
zu dürfen.
Und ich bin meiner Familie auch dankbar dafür, das
Rüstzeug von ihr mit auf den Weg bekommen zu haben.
Ich bin dankbar dafür, dass ich mich in jungen Jahren
ausprobieren durfte und heute dafür, dass ich mich auf
meine Geschäftspartner zu 100 % verlassen kann.
Privat ist das Wichtigste für mich, dass meine Familie
und ich gesund sind. Das ist nicht selbstverständlich und
die Basis für alles Weitere.

Markus Meindl: Als Wiesenwirt steht man jährlich
immer wieder im Rampenlicht und unter enormem
Druck. Man wird auf Herz und Nieren geprüft. Teilweise
geht das unter die Gürtellinie. Neid oder Konkurrenz?


Christian Schottenhamel: Ich bin schon so lange im Geschäft,
da kennt man das natürlich und weiß, mit Druck
umzugehen. Der Zusammenhalt unter den Wirten ist
groß. Wenn, dann kommen Angriffe gerne von außen.
Die Medienlandschaft, welche immer nach Sensationen
und neuen Themen sucht, macht da gerne mal eine
Mücke zum Elefanten und Begebenheiten zu Themen,
die gar keine echten Themen sind. Manches muss man
dann einfach aushalten oder aussitzen.


Markus Meindl: Worauf legst du bei der Auswahl deiner
Mitarbeiter am meisten wert? Gibt es etwas, was du
überhaupt nicht ausstehen kannst? Und gibt es etwas,
das jemand, der bei dir arbeiten will, unbedingt braucht?


Christian Schottenhamel: Ehrlichkeit und Offenheit
sind mir sehr wichtig. Jeder darf Fehler machen,
wichtig ist, davon zu wissen und gemeinsam Lösungen
zu finden, denn nur so ist man in der Lage, sich weiterzuentwickeln.
Gastronomie ist kein Beruf, sondern eine
Lebenseinstellung. Mitarbeiter müssen einfach dafür
brennen, mit Menschen zu arbeiten und diesen eine
gute Zeit zu ermöglichen. Und das auch, wenn es mal
heiß hergeht. Der Zusammenhalt und die Momente der
Freude entschädigen uns für den Stress, den man
phasenweise erlebt.

“Plötzlich war ich über Nacht der damals jüngste Wiesnwirt und trug mit nur 25 Jahren eine immense Verantwortung.”

Markus Meindl: Dein Unternehmen gibt es seit 1896 – schon eine Verantwortung, der Historie und seinen Werten treu zu bleiben. Womit motivierst Du Dich immer wieder, um das unglaubliche Pensum zu meistern?

Christian Schottenhamel: Das Oktoberfest und Münchens Veranstaltungskalender haben schon immer mein Leben
getaktet. Ich kenne es nicht anders und brauche das.

Markus Meindl: Kannst du noch zwischen privat und Geschäft unterscheiden?

Christian Schottenhamel: Die Grenzen sind fließend. Aber Gastronomie ist ohnehin mehr ein Lebensstil und weniger ein Beruf. Es braucht Zeiten und Momente, die nur meiner Familie gehören. Das ist wichtig. Kinder brauchen ihren Vater, und auch an einer Beziehung muss ein Leben lang gearbeitet werden. Dies sollte man bei allem Stress und Leidenschaft für das Geschäft nicht übersehen.

Markus Meindl: Wenn Du an Deine Kindheit denkst: Gibt es Momente und Erfahrungen, welche ganz besonders prägend für deine berufliche und private Laufbahn waren?

Christian Schottenhamel: Der viel zu frühe Tod meines Vaters. Plötzlich war ich über Nacht der damals jüngste Wiesnwirt und trug mit nur 25 Jahren eine immense Verantwortung. Das prägt und verändert einen Menschen natürlich.

Markus Meindl: Gibt es einen guten Rat von dir, den du der heutigen Jugend gerne geben möchtest?

Christian Schottenhamel: Mehr im Hier und Jetzt leben! Die hängen alle in irgendwelchen virtuellen Welten fest, aber das eigentliche Leben spielt sich doch da draußen ab! Und: Es wird einem im Leben nichts geschenkt. Vom Nichtstun kommt nichts. Und Nichtstun kann auf Dauer nicht
erfüllend sein.

Markus Meindl: Was hältst du von den derzeitigen geographischen, gesellschaftlichen und sozialen Veränderungen? Kann Deutschland mit unseren Politikern diese Krise meistern, oder wird es Zeit für Neuwahlen?

Christian Schottenhamel: Ich glaube, dass das derzeitige Problem weniger einzelne Politiker darstellen, mehr Sorge macht mir die gesamtgesellschaftliche Situation und Entwicklung. Das Handeln der Menschen wird immer egoistischer und ist oft ideologisch getrieben. Das zeigt sich auch in der Politik – es werden immer mehr Einzelinteressen verfolgt und der Blick für das große Ganze geht verloren.
Mit vollen Händen wird ideologisch motiviert Geld ausgeschüttet. Gute Beispiele dafür sind die grün gestrichenen Fahrradwege in München oder vier Millionen Euro Ausgaben für die gendergerechte Umgestaltung der IT-Landschaft der
Stadt. Aktionen sind eventuell gut gemeint und isoliert betrachtet zum Teil sinnvoll, aber in Summe ist das alles für dieses Land auf Dauer nicht stemmbar. Zudem herrscht die Überzeugung vor, dass der Staat die Versicherung für alles ist. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr für sich und ihr Vorankommen verantwortlich und meinen, der Staat sei für ihr Wohlbefinden zuständig. Bestrebungen, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen und Bürgergeld, sehe ich kritisch. Bei uns in der
Gastronomie herrscht ein eklatanter Personalmangel, und auf diesem Wege motiviert man immer noch weniger Menschen, mit ehrlicher Arbeit in unserer oder ähnlich anstrengenden, aber wichtigen Branchen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Wer pflegt dann noch Alte und Kranke? Wer fährt unsere Busse und U-Bahnen? Stichwort Kinderbetreuung? Ich sehe unser Land leider – und ich bin beileibe kein pessimistischer Mensch – in eine riesige Krise hineinschlittern. Wer sich mit Betriebswirtschaft- und/oder Volkswirtschaft ein wenig auskennt, sieht, dass das auf Dauer nicht gutgehen kann. Eine sinnvolle Asylpolitik und
Arbeitszuwanderung mit dem Ziel echter Integration wird für die Zukunft unseres Landes wesentlich sein. Auch die Rolle unserer Medien sehe ich zunehmend kritisch.
Echter, gut recherchierter Journalismus ist immens wichtig, ist aber selten geworden. Auch die Medien sind kommerziell getrieben, und schlechter, sensationsgeiler Journalismus, genauso wie Propaganda, bedrohen unsere Demokratie und den sozialen Frieden.

Markus Meindl: Unsere Jugend klebt sich gerade regelmäßig an Straßen, verschmiert Kunstgemälde und erzeugt Aufmerksamkeit. Nicht gerade der richtige Weg, um unsere Klimaproblematik zu lösen. Christian Schottenhamel: Die Themen sind wichtig, aber gegen Gesetze zu verstoßen oder gar Kunstwerke zu beschädigen, andere in Gefahr zu bringen, das ist der völlig falsche Weg und ich kann das nicht
gutheißen.

“Die Gastronomie und auch unser Brauchtum, Kultur usw. sind wichtige Bindeglieder zwischen uns Menschen“”

Markus Meindl: Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde. Als Geschäftsführer einiger gastronomischer Betriebe hat man viel Verantwortung. Wo siehst du am meisten Möglichkeiten und das größte
Potenzial, nachhaltiger zu werden?


Christian Schottenhamel: Über den Einkauf unserer Produkte. Wir achten sehr darauf und beziehen mittlerweile 90 % unserer Ware aus der unmittelbaren Region und wann immer möglich in Bio- oder Naturlandqualität. Und bei Verpackungs- und Verbrauchsmaterial.
Wir verwenden keine Strohhalme mehr und bieten Mehrwegschalen an, wenn Gäste einen Teil ihres Essens mit nach Hause nehmen möchten. Mit der Festhalle Schottenhamel schaffen wir nach Berechnungen der Firma Climate Partner nach dem Oktoberfest durch das Pflanzen von Bäumen einen CO2- Ausgleich, um den von uns verursachten Ausstoß von Kohlenstoffdioxid auszugleichen. Zudem nehmen wir teil an Programmen wie Ökoprofit, dem Q-Siegel, ausgezeichnete bayerische Küche und dem GastroManagementPass (GMP), die uns allesamt dabei helfen, in verschiedenen Bereichen der Wertschöpfungskette Energie zu sparen, Müll zu reduzieren und unsere Mitarbeiter zu sensibilisieren.
Die Gastronomie kann viel machen, und immer mehr

Wirte gehen diesen Weg. Qualitativ nachhaltig – jeder kann seinen Beitrag leisten – im Großen wie im Kleinen: Kleinere Portionen, lokale Produzenten, kleine landwirtschaftliche Betriebe aus der Umgebung usw.

Markus Meindl: Wie war heuer das Oktoberfest für dich, ganz persönlich? Hattest du den einen oder anderen Glücksmoment (Familie, Freunde)?


Christian Schottenhamel: Der schönste Moment jeder Wiesn ist immer das Anzapfen vom Oberbürgermeister in unserem Zelt, heuer ganz besonders, denn dann war klar, dass das Oktoberfest wirklich stattfindet.
Bis dahin haben wir gezittert. Fröhlich feiernde Menschen zu sehen, ohne jegliche Einschränkungen, das war in den ersten Tagen des Oktoberfests
tatsächlich etwas, das mich mit Glück erfüllt und mich sentimental gemacht hat. In diesen Momenten wurde einem richtig bewusst, was die Zeit während Corona mit einem als Mensch gemacht hat und dass vor allem das Zwischenmenschliche gefehlt hat. Ein weiterer toller Moment ist immer das Platzkonzert der Wiesnkapellen, wenn zur bayerischen Hymne bunte Luftballons in den weiß-blauen Himmel aufsteigen.


Markus Meindl: Wohin gehst du, wenn du nicht in
deinem eigenen Zelt bist?

 

“Schlechter, sensationsgeiler Journalismus, genauso wie Propaganda, bedrohen unsere Demokratie und den sozialen Frieden.“

 

Christian Schottenhamel: Ich verlasse das Zelt während der Wiesn
nur für offizielle Verpflichtungen, wie das Platzkonzert der Wiesnwirte usw., denn wir Wirte sind verpflichtet, stets vor Ort in unseren Betrieben zu sein. Mein Cousin, sein Sohn und ich vertreten uns gegenseitig, wenn wir zwischenzeitlich mal kurz bei Freunden vorbeischauen.


Markus Meindl: Was haben wir aus den beiden vergangen Jahren gelernt? Gesellschaftlicher Verzicht? Die Verantwortung, unsere urbayerische Kultur zu pflegen, ist eine schöne Verantwortung. Essen, Trinken, Feiern und unsere Tracht. Ohne unsere Kultur fehlt uns ein ganz wichtiger Teil im Leben.


Christian Schottenhamel: Die wichtigste Erkenntnis aus der Zeit von Corona ist für mich, welch soziale Wesen wir Menschen sind und wie sehr wir den Kontakt
zu anderen brauchen. Die Gastronomie und auch unser Brauchtum, Kultur usw. sind wichtige Bindeglieder zwischen uns Menschen, bauen Brücken, schaffen Gemeinsamkeit und bringen uns zusammen. Den Leuten ist viel verloren gegangen und sie haben viel nachzuholen. Manches muss sich erst wieder finden.


Markus Meindl: München ist einzigartig und Heimat. Welche Ecken liebst du am meisten?


Christian Schottenhamel: Ich mag es, an der Ruhmeshalle oben bei der Bavaria zu stehen und auf das Oktoberfest herunterzublicken. Ja, diesen Ort liebe ich sehr.

Markus Meindl: Was macht für dich die Stadt besonders,
warum ist München so besonders?


Christian Schottenhamel: Für mich ist München der Mittelpunkt Europas. „Laptop und Lederhose“, das sagt für mich eigentlich alles über die Stadt aus. Die lebendige Tradition, verbunden mit dem wirtschaftlichen Puls der Stadt – das ist schon etwas Besonderes. Zudem die Lage und die Natur, welche uns umgibt. Von hier aus ist man binnen kurzer Zeit in den Alpen oder am Meer. Und dann ist München natürlich meine Heimat.

Markus Meindl: Die Jagd hat für dich eine große Bedeutung. Leidenschaft für Natur und Verantwortung. Respektvoller Umgang und waidmännische Tradition
sind die Basis für eine ehrliche Jagd. Was war dein schönstes Jagderlebnis?


Christian Schottenhamel: Ich selbst jage im Hochgebirge, und da war es für mich etwas ganz Besonderes, einen Birkhahn zu schießen. Eine Woche lang bin ich jeden
Tag um 5 Uhr in der Früh aufgestanden und war an verschiedenen Plätzen ansitzen, bis ich ihn hatte. Ein einmaliges Erlebnis. Die Trophäe hängt präpariert bei mir zu Hause und erfüllt mich mit Stolz und Ehrfurcht. Im Hochgebirge in der Morgendämmerung auf der Pirsch zu sein, ist herrlich. Man fühlt sich der Natur
so nah. In meinem Jagdgebiet gibt es keine Hirsche, daher wird es leider nichts mit einer Lederhose aus selbstgeschossener Beute. Aber so ein Teil wäre natürlich die Krönung.